„Was nichts kostet, ist nichts wert.“ Oder: Wie kann Open Access eigentlich finanziert werden?

Wenn Texte kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, lassen sie sich nicht mehr verkaufen. Wie aber kann man dann die Produktion von Texten (das Denken, das Schreiben, das Lektorieren, das Korrigieren, die Formatierung, den Satz bzw. die Programmierung) und die Zugänglichkeit zu Texten, die bisher vor allem Bibliotheken gewährleisten, finanzieren?

Bei digitalen Texten halten sich die Kosten für die Bereitstellung im Rahmen. Dank WordPress muss man Websites nicht mehr aufwendig programmieren. Vorlagen kann man entsprechend anpassen, nachdem man sich in die Grundlagen von HTML und CSS reingefuchst hat. Selbst ohne jegliche Programmierkenntnisse kann man einen Blog oder eine persönliche Website aufsetzen. Und auch die Serverkosten sind überschaubar. Finanzieller und persönlicher Aufwand für die Schaffung einer digitalen Infrastruktur sind also überschaubar. Doch die Textproduktion ist nach wie vor ein aufwendiger und mühsamer Prozess, um den man nicht herumkommt. Und der will entlohnt werden. Doch wie, wenn man seine Texte am liebsten kostenfrei zur Verfügung stellen möchte, damit sie möglichst viele lesen können?

In den Geisteswissenschaften rechnen WissenschaftlerInnen ohnehin nicht damit, ein Honorar für ihre Texte zu bekommen. Denn die Texte selbst sind die Währung. Je länger die Publikationsliste, desto größer der Marktwert. Deshalb sind in Deutschland AutorInnen sogar bereit, einem Verlag zwischen 2.000 und 8.000 Euro (je nach Reputation des Verlags) zu bezahlen, damit dieser ihre Monographie veröffentlicht. Wenn ihre Publikation durch einen „Druckkostenzuschuss“ eines Drittmittelprojekts finanziert wird, dürfen sie selbst nichts an dem Buchverkauf verdienen. Eine entsprechende Honorar-Verzichtserklärung muss man dann unterschreiben. Bei einer durchschnittlichen Auflage von 300 Stück pro Dissertation (die man ja in Deutschland veröffentlichen muss, um seine Promotion abzuschließen) stellen die Druckkostenzuschüsse für die Verlage eine wichtige Einnahmequelle dar. Je niedriger der angesetzte Verkaufspreis des Buches ist (in der Regel zwischen 25 und 65 Euro), desto größer die Rolle des Druckkostenzuschusses in der Verlagskalkulation. Darüber hinaus können Verlage mit der Abnahme einer gewissen Menge an Büchern durch Bibliotheken rechnen. Verlage in den USA verkaufen zunächst die erste Auflage, die als Hardcover und damit zu einem höheren Preis von bis zu $100 erscheint, an Bibliotheken, bevor sie eine günstigere Paperback-Version (deren Preis allerdings nicht immer weit unter dem Hardcover-Preis liegt) herausbringen.

Mit diesen Ausführungen möchte ich keinesfalls Stimmung gegen Verlage machen, wie dies manche Open Access-Verfechter tun, sondern schlichtweg darauf aufmerksam machen, wie das wissenschaftliche Publikationswesen funktioniert. Denn gerade im digitalen Zeitalter, wo das Selbstpublizieren ein Kinderspiel geworden ist, gibt es für WissenschaftlerInnen viele Alternativen zum herkömmlichen Publikationssystem, die sie nutzen könnten, wenn sie wollten. Den meisten WissenschaftlerInnen, mit denen ich gesprochen habe, als ich einen digitalen Wissenschaftsverlag gründen wollte, liegt das gedruckte Buch jedoch so sehr am Herzen, dass sie in der digitalen Publikation vor allem eine Abwertung ihrer Arbeit sehen würden. Viele befürchten zudem, dass eine Veröffentlichung bei einem (noch) unbekannten Verlag ihrer Karriere schaden könnte. Vielleicht zu recht. Manche sind grundsätzlich gegen Open Access, da für sie der Grundsatz gilt „Was nichts kostet, ist nichts wert.“ Damit komme ich zum eigentlichen Thema dieses Posts: Wie lässt sich Open Access eigentlich finanzieren?

Wie bereits erwähnt, übernehmen bisher vor allem AutorInnen bzw. die sie fördernden Institutionen die Gebühr für den kostenfreien Zugang, die APC (article processing charge). So muss man zum Beispiel 2.150 Euro bezahlen, um einen Artikel in einer Zeitschrift der britischen Verlagsgruppe Taylor & Francis open access zu stellen und ca. 12.600 Euro, um seine Monographie beim geistes- und sozialwissenschaftlichen Verlag Routledge, der zu Taylor & Francis dazugehört, open access zu veröffentlichen. Das Ziel, diese Gebühren gerecht zu verteilen und nicht allein auf die AutorInnen abzuwälzen, haben sich Projekte wie Knowledge Unlatched und Luminos auf die Fahnen geschrieben. Bei Knowledge Unlatched teilen sich Bibliotheken (die ohnehin die Bücher kaufen würden) die von den Verlagen verlangte Open Access-Gebühr. Luminos, ein Projekt der University of California Press, möchte, dass alle, die von der Publikation profitieren (AutorInnen, Institutionen, Bibliotheken und Verlage) für die Produktion und Verbreitung aufkommen.

Dass auch die LeserInnen für den kostenfreien Zugang bezahlen, scheint ein zu großes Paradox. Doch warum sollen nicht tatsächlich alle, die Nutzen aus den Texten ziehen, dafür bezahlen (können)? Die Musikerin Amanda Palmer bringt es in ihrem TED-Talk „The Art of Asking“ auf den Punkt: „Don‘t make people pay. Let them.“ Nachdem ihr Label sie nicht länger unterstützen wollte, da sie ‚nur‘ 25.000 CDs verkaufte, hat sie für ihre nächste Plattenproduktion eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Diese Aktion brachte ihr $1.192.793 ein – von insgesamt fast 25.000 SpenderInnen. (Danke, Marion Goller, für diesen Hinweis.)

Neben Crowdfunding (wodurch inzwischen ganze Forschungsprojekte unterstützt werden sollen) hat das Internet weitere Finanzierungsmodelle hervorgebracht, die sich auch für die Produktion wissenschaftlicher Texte eignen könnten, z.B. maßgeschneiderte Werbung. Doch viele Menschen stehen Werbung prinzipiell skeptisch gegenüber. Zudem empfinden sie es als starke Beeinträchtigung des Lesegenusses (Stichwort Adblocker), der bei Online-Publikationen ja ohnehin gefährdet scheint. Werbung stellt also nicht die die beste Finanzierungsweise dar, wenn es um wissenschaftliche Texte geht. Da erscheint mir die Möglichkeit des Micropayments, der Bezahlung von Kleinstbeträgen, sinnvoller. Das Problem bei der Nutzung von Online-Inhalten ist meiner Meinung nach weniger die von KulturpessimistInnen verdammte „Umsonstkultur“, sondern der Mangel an unkomplizierten Bezahlmöglichkeiten (neben der durch das DRM eingeschränkten Nutzung versteht sich, doch das ist nicht Thema dieses Posts). Muss man immer wieder seine Kontaktdaten und Kreditkartennummer in Bezahlmasken eingeben, ist das nicht nur zeitaufwendig, sondern auch riskant und heikel. Vielleicht ist dies unter anderem der Grund, warum Matthew Butterick mit seiner tollen Website über Typographie (wie bereits in einem früheren Post erwähnt) trotz eines implementierten Zahlsystems nur 1 von 1000 LeserInnen dazu bringt, eine Überweisung vorzunehmen (ich habe trotzdem eine kleine Summe überwiesen, nicht weil ich musste, sondern weil der Autor mich darum gebeten hat, s. Amanda Palmer).

Der Journalistin Antje Schrupp wäre Werbung viel lieber als das Geld von LeserInnen, müsste sie von ihrem Blog „Aus Liebe zur Freiheit. Notizen zur Arbeit der sexuellen Differenz“ leben. Denn durch Werbung wäre sie freier beim Schreiben als wenn sie in der Schuld ihrer LeserInnen stünde. Letztendlich verdient sie ihren Lebensunterhalt allerdings durch das Vermitteln der Gedanken, die man kostenlos auf ihrem Blog lesen kann. So steigern Publikationen auch ihren Marktwert und damit die Nachfrage nach ihren (bezahlten) Vermittlungstätigkeiten (Vorträge, Podiumsdiskussionen etc.). Nicht zu vergessen sei allerdings die Aufmerksamkeit, die ihr die LeserInnen entgegenbrächten, in Form von Klicks und Kommentaren. Das Lesen sei ja ebenfalls eine Investition, gar ein Geschenk, weil freiwillig.

Um seiner Wertschätzung im Internet Ausdruck zu verleihen, gibt es neben Kommentaren und Verlinkungen, Retweets und Likes auch den Flattr-Button, über den man monatlich eine selbst festgelegte Spendensumme an verschiedene Projekte verteilen kann, und das Bezahlsystem PayPal, das eine relativ einfache Überweisung erlaubt. (Flattr-Gründer Peter Sunde will nun übrigens in Kooperation mit AdBlock Plus ein automatisches Spendensystem implementieren wie der Guardian berichtet.) Der Digitalverlag mikrotext setzt zum Beispiel – wie Zeitungen – aufs Abo, das wiederum bei Zeitschriften wie The Economist im Grunde als Flatrate funktioniert. Ich werde Flattr-Button und PayPal mal ausprobieren, insbesondere letzteres, damit man mein Print-on-demand-Buch einfacher erwerben kann. Selbstverständlich freue auch ich mich über die Wertschätzung meiner Arbeit – in welcher Form auch immer. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.